Autochtone Rebsorten aus dem Mittelalter

Station 35

Alte Rebsorten im Wandel warmer und kalter Klimaphasen

Infotafel neben Weinbergshütte und Weinberg

von Andreas Jung

Deutschland blickt auf eine 2000-jährige Weinbautradition mit wechselnden Klimaphasen  zurück. Die aktuelle Klimaerwärmung führt bereits dazu, dass in Polen und anderen nördlichen Ländern Europas wieder Weinbau betrieben wird. Bereits die klimatische Warmphase im Mittelalter (900 - 1300) hatte zur europaweiten Ausbreitung des Weinbaus bis an die Ostseeufer beigetragen. Nördlich der Alpen förderten heiße Sommer und trockenkalte Winter den Anbau spät reifender, fruchtbarer und robuster Sorten aus Ungarn und der Lombardei. Nur wuchskräftige, ausdauernd tragbare und ertragreiche Sorten mit großen Trauben konnten die damals enorme Nachfrage nach Wein sichern. Die Bevölkerung war stark angewachsen. Wein als sauberes und keimfreies Lebensmittel war sicherer Ersatz für das oft keimbelastete Trinkwasser.

Trotz zahlreicher Sortenimporte aus Pannonien gab man die fränkisch - mährischen Rebsorten des Frühen Mittelalters nicht auf. Die kleinen Trauben des Rot- und Weißfränkischen (Traminer), der schwarzblauen Frankentraube (Blauer Hängling / Süßroth) und des roten Mährer (roter Hängling / Hansen) waren als Süßreserve geschätzt. Ihre süßen Trockenbeeren neutralisierten den säuerlichen Saft der Hunnischen Sorten in weniger guten Weinjahren. Der gemeinsame Anbau der frühmittelalterlich fränkischen und hochmittelalterlich hunnischen Sorten im gemischten Rebsatz des Spätmittelalters trug zur spontanen Entstehung zahlreicher neuer, heutiger Traditionssorten wie Gamay, Elbling, Riesling, Chardonnay, Auxerrois, Ortlieber, Räuschling und Silvaner bei.

Verheerende Kriege, Hungersnöte und ein enormer Bevölkerungsschwund während der allgemeinen Klimadepression der Kleinen Eiszeit (1550-1850) haben die Rebfläche auf den heutigen Stand schrumpfen lassen. Wiederholt strenge Frostereignisse im 17. und 18. Jahrhundert trugen zur scharfen Standortselektion in den traditionell sortengemischten Rebsätzen bei. Nur frostresistente Rebsorten überlebten. Die alten fränkischen Sorten mit kleineren Trauben und früherer Reife wurden gegenüber den vitaleren, aber häufig nicht mehr voll ausreifenden ungarischen Sorten bevorzugt. Dennoch dürfte die hohe Frosttoleranz verbunden mit einer enormen Regenerationskraft und beeindruckenden Fruchtbarkeit dazu beigetragen haben, dass sich viele pannonische Sorten bis heute in den gemischten Rebsätzen Mitteleuropas erhalten haben.

Das 18. und 19. Jahrhundert waren geprägt durch die erneute Einführung zahlreicher Sorten aus den berühmten Weingegenden Frankreichs, Italiens und Österreich-Ungarns. Ein Maßstab für die damalige Rebsortenvielfalt bot die Rebschule Blankenhornsberg, die 1875 noch über 400 Rebsorten zum Kauf anbot. Im geschützten Kleinklima von Gärten und an südexponierten Hauswänden wurden exotische Tafeltrauben angepflanzt. Viele dieser Rebsorten haben den deutschen Weinbau während der letzten Jahrhunderte entscheidend mitgeprägt.

Die Erhaltungssituation

Von dieser historisch überlieferten Sorten- und Klonvielfalt ist nicht viel geblieben. Die Gründe hierfür sind vielfältig: Reblauskatastrophe, aus Amerika eingeschleppte, in Europa neuartige Pilzkrankheiten und großflächige Flurbereinigungen erzwangen die Neustrukturierung des Rebgeländes. Die zu Beginn des 20. Jahrhunderts einsetzende Klonselektion schränkte das Sortenspektrum auf wenige Qualitätsorten ein. Die einstige Klonvielfalt wurde zugunsten einzelner Leistungsklone aufgegeben. Rebschulen lieferten die aus wenigen zertifizierten Zuchtstämmen tausendfach vermehrte Pfropfreben. Der gemischte Rebsatz wurde durch sortenreine Monokulturen ersetzt. Dies sicherte gleichmäßige Erträge und einheitliche Qualitäten, trug aber wesentlich zur Reduzierung der einstigen Sorten- und Klonvielfalt bei.

Zur Produktion sortenreiner Qualitätsweine dürfen heute nur zertifizierte Klone von zugelassenen Ertragsrebsorten angebaut werden. Darunter sind vergleichsweise wenige alte Sorten. Viele der traditionellen Rebsorten des 19. Jahrhunderts sind nicht mehr für den Anbau zugelassen und züchterisch entsprechend vernachlässigt worden. Als historische Sorten haben sie nur in wenigen wissenschaftlichen Rebsortimenten überlebt. Dort ist die genetische Basis vielfach auf letzte, häufig virusinfizierte Einzelreben eingeschränkt. Einige Sorten sind verschollen,  viele vom Aussterben bedroht.

Rebsortenschätze in alten Weinbergen

Jüngere Sortenfunde haben gezeigt, dass es in Deutschland noch alte Rebbestände gibt, die eine unerwartete Vielfalt historischer Rebsorten und Klone enthalten können. Allein an der Badischen Bergstrasse sind über 60 Traditionssorten in alten, noch wurzelecht bepflanzten Weingärten gefunden worden. Die mit dem Trollinger verwandte Rebsorte Blauer Elbling stellt bei Heidelberg die zweithäufigste traditionelle Rebsorte nach Riesling dar. Als Früher Blauduftiger Trollinger war sie auch in Schwaben, als Will(d)bacher an der Hessischen Bergstrasse verbreitet. Sogar die bereits ausgestorben geglaubte, uralte Rebsorte Fütterer konnte in einigen Exemplaren wiederentdeckt werden. Die Funde der international renommierten Rotweinsorte Primitivo / Zinfandel haben zu Tage befördert, dass diese ursprünglich ungarische Sorte unerkannt seit über 400 Jahren in Deutschland angebaut wurde. Andere Sorten wie Honigler und Putzscheere waren Importe aus dem Tokay und Bestandteil von Trockenbeerenauslesen. Die Sortengruppe der Veltliner bildete die Grundlage süßer Importweine aus Istrien und war nicht nur in Österreich, sondern auch in der Oberrheinebene sehr geschätzt.

Angesichts der bereits spürbaren Klimaerwärmung könnten viele der eher spät reifenden Traditionsrebsorten wieder zu neuer Bedeutung gelangen.

Suche nach alten Weinbergen

Europa hat sich in der Agenda 21 verpflichtet, die genetische Vielfalt unserer Kulturpflanzen zu bewahren. Hierzu zählt auch das reiche kulturelle Erbe an traditionellen Rebsorten und Klonen.

In einem von der Bundesregierung finanzierten, dreijährigen Erfassungsprojekt (2007-2009) sollen alte, noch wurzelecht bepflanzte Weinberge in Deutschland aufgespürt und die darin verbliebenen, rebengenetischen Ressourcen bundesweit erfasst werden. Ziel ist es, die enge genetische Basis kulturhistorisch bedeutsamer Rebsorten zu erweitern und die verbliebene Klonvielfalt zu sichern.

Es gilt keine Zeit zu verlieren. Die Zahl alter Rebbestände schwindet von Jahr zu Jahr. Nur in alten, noch wurzelecht gepflanzten Rebbeständen kann man hoffen, seltene alte Rebsorten und widerstandsfähige Klone zu finden. Der Klimawandel wird auch den Deutschen Weinbau verändern. Viele der alten Traditionssorten haben bereits einen Klimawandel erfolgreich hinter sich gebracht. Deshalb ist es umso bedeutender, dass unsere seit Jahrhunderten standort- und klimaerprobten Rebsorten in größtmöglicher Vielfalt erhalten werden.

Was heute nicht gesichert wird, wird morgen verloren sein. Helfen Sie uns, alte Rebsorten zu retten.

Melden Sie uns die Existenz alter, noch wurzelechter Rebbestände in Weingärten oder alten Rebanlagen. Tel. 06347 700294 (Herr Jung)

Kulturhistorische Sensation

Von Dipl.-Ing. Hubert Konrad und Dr. Tatjana Wolf  

Vor wenigen Jahren konnten Wissenschaftler des Instituts für Rebenzüchtung mit Hilfe klassischer und moderner Methoden nachweisen, dass in vier bis zu 200 Jahre alten Weinbergen der badischen Bergstrasse bei Heidelberg noch einige Stöcke uralter Rebsorten standen. Allerdings gestaltete sich die visuelle Rebsorten-Bestimmung in diesen Weinbergen als schwierig, da Virus- und Pilzbefall, Schwachwüchsigkeit oder Überalterung der Rebstöcke die Identifizierung erschwerten. Dennoch konnten Erika Dettweiler und Andreas Jung, Rebsortenkundler der BAZ, durch visuelle Inspektion die Sortenzugehörigkeit fast aller 1.500 Einzelstöcke bestimmen. Für unsichere Kandidaten wurde der genetische Fingerabdruck eingesetzt. Kulturhistorisch sensationell war der Fund der uralten, in der Domestikationsgeschichte so bedeutenden Rebsorte WEISSER HEUNISCH. Heute fast ausgestorben, im Mittelalter aber weit verbreitet, stammen mindestens 72 Rebsorten (z.B. RIESLING, CHARDONNAY) direkt von ihm ab. Außerdem wurden weitere aus dem Anbau verschwundene, teils sehr seltene Sorten wiedergefunden (BLAUER ELBLING, PUTZSCHEERE, SEIDENTRAUBE), und einst aus Ungarn bzw. Italien importierte Sorten wie PRIMITIVO, LASKA oder HONIGLER, die selbst in den alten Rebsortenbüchern für Heidelberg nicht belegt waren.

Die in der Steiermark verbreitete Sorte Wildbacher, dort bekannt für den Schilcherwein, einen säurebetonten, herben Rosewein, soll an der Hessischen Bergstraße in kleinen Restbeständen stehen? Die Neugierde der Rebenzüchter der Forschungsanstalt Geisenheim war geweckt. Angeregt von der Bergsträßer Winzergenossenschaft wurde am 21.9.1995 das kleine Rebgrundstück des Winzers Richard Boch im Heppenheimer Maiberg von den Geisenheimern Fachleuten unter die Züchterlupe genommen. Laut amtlicher Weinbaukartei des Landes Hessen konnte das Pflanzjahr des Weinberges auf das Jahr 1927 datiert werden. In dem damals fast 70 Jahre alten Weinberg wurden 13 Stöcke von den Züchtern als interessant markiert, das Holz im Winter geschnitten und in Geisenheim im darauffolgenden Frühjahr veredelt. Da den Züchtern von Rebsortenbeschreibungen aus der Literatur bekannt war, dass verschiedene Wildbacher-Typen existieren mussten, wurde der Wildbacher von der Bergstraße mit den bereits im Geisenheimer Rebsortiment stehenden Wildbachern unterschiedlicher Herkünfte verglichen. Es zeigte sich sehr bald, dass der Bergsträßer Wildbacher nichts mit den bisher bekannten Wildbachern zu tun hatte. Also wurden für eine Vergleichspflanzung zusätzlich andere Wildbacher aus anderen Herkünften, darunter auch Originale aus der Steiermark, beschafft. Diese wurden in Geisenheim veredelt und im Frühjahr 1997 als kleine Vergleichsanlage gepflanzt. Schon im Jungfeld konnten die Pflanzen anhand ihrer äußeren Merkmale unterschieden und in 4 verschiedene Typen unterteilt werden.

Zusätzlich zu den morphologischen Einteilungen der Pflanzen in 4 Wildbacher-Typen wurden 2001 erste genetische Untersuchungen mit Hilfe der Polymerasekettenreaktion (PCR) durchgeführt. Die Laboruntersuchungen bestätigten, unabhängig von den Informationen bezüglich der Zuordnung der Proben zu den 4 Wildbacher-Typen, exakt die bereits durch das äußere Erscheinungsbild festgelegten Einteilungen.

2002 war der Bestand endlich so durchsortiert und erfasst, dass eine sinnvolle getrennte Ernterfassung der 4 Typen erfolgen konnte. Es zeigten sich über die Jahre Unterschiede in Mostgewicht, Säuregehalt, Ertrag und Fäulnisanfälligkeit der Trauben. Im Jahr 2003 konnte das erste Mal Wein im Kleinstgebinde (10 l Glasballons) ausgebaut werden.

Eine Kooperation mit österreichischen Kollegen der Höheren Bundeslehranstalt und dem Bundesamt für Wein- und Obstbau, Klosterneuburg, sowie dem Landwirtschaftlichen Versuchszentrum Steiermark, Graz, bestätigte nochmals die Einteilung der Pflanzen in 4 Wildbacher-Typen. Vergleiche dieser Typen mit weststeirischen Wildbacher-Typen zeigten, dass eine Variante der Wildbacher-Typen aus dem Geisenheimer Sortiment mit der Sorte Blauer Wildbacher identisch war. Die übrigen Wildbacher-Typen waren laut genetischen Untersuchungen anderen Ursprüngen zuzuordnen. Zur Zeit werden die Wildbacher-Typen im Geisenheimer Sortiment mit Rebenmaterial aus anderen deutschen und europäischen Rebsortimenten verglichen. Diese Untersuchungen sind zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen.

Vom Bergsträßer-Typ, in alten Aufzeichnungen auch Willbacher geschrieben , wurden im Frühjahr 2006 im Fachgebiet Rebenzüchtung und Rebenveredlung in Geisenheim ca.250 Pfropfreben hergestellt. Diese Pflanzen sollen zur Erhaltung dieser alten Rebsorte im Heppenheimer Steinkopf am Lehrpfad Wein und Stein des UNESCO-Geoparks Bergstraße gepflanzt werden.

Im Jahre 2008 werden voraussichtlich die ersten Trauben dieser alten und vermutlich autochthonen (bodenständigen) Bergsträßer Rebsorte gekeltert.

Weitere Informationen:
Renner, W., Wolf, T., Konrad, H., Eder, R., Regner, F. (2006): Typenerfassung bei der Rebsorte Blauer Wildbacher unter ampelografischen, analytischen und genetischen Aspekten. Deutsches Weinbau-Jahrbuch, 57, Eugen Ulmer: 143-150

Anmerkung: Inzwischen ist geklärt, dass der Bergsträsser Willbacher identisch mit der alten Rebsorte Blauer Elbling ist, die auch an der badischen Bergstrasse sehr häufig ist und dort auch heute noch in vielen alten Weinbergen den Platz 2 hinter dem Riesling belegt.

Infotafel Autochthone Rebsorten