Der Einfluss des „Klimawandels“

Station 27

Weinwelt im Wandel

Infotafel der Einfluss des Klimawandels auf den Weinbau an der Hessischen Bergstraße

Schlagzeilen zur Klimaveränderung gehören längst zum Alltag. Erdhistorisch gesehen hat es zwar schon immer Klimaschwankungen gegeben, aber die Umbrüche verlaufen diesmal mit einer Geschwindigkeit, die alles bisher da gewesene übertrifft. Für Menschen ist es schwierig, das Tempo der Veränderung objektiv zu erfassen. Man nimmt nur subjektive Eindrücke wahr. Das Jahr 2003 ist sicher vielen nur deshalb in „heißer“ Erinnerung, weil die historische Hitzewelle in der Hauptferienzeit lag. Ein Winzer verbindet vor allem Herbstwetter und Lesebeginn mit der Güte eines Weinjahrs. Überdies gibt es eine Reihe weiterer Parameter, die – langjährig aufgezeichnet – die rasante Klimaveränderung belegen.

Aus weinbaulicher Sicht haben sich in den vergangenen 40 Jahren die wichtigsten Phasen, nämlich Austrieb, Blüte und Reifebeginn, um sieben bis zwölf Tage gegenüber dem langjährigen Durchschnitt vor verlagert! Aufgrund vieler Messwerte in den europäischen Weinbauregionen, lassen sich Klimamodelle erstellen, die Prognosen ermöglichen. Diese lauten für unsere Klimaregion: Die Temperatur wird in den nächsten Jahrzehnten weiter  ansteigen, im Winterhalbjahr gar um 1,5 bis 3 Grad. Die Niederschlagsprognose fällt für Nord- und Süddeutschland unterschiedlich aus. Da die deutschen Weinbaugebiete in der Übergangszone zu den Mittelmeerbreiten liegen, rechnet man mit einer Abnahme der Niederschläge im Sommer und mit einer Zunahme im Winter. Ebenso wird eine Zunahme der Starkregenereignisse und Erosionsschäden vorhergesagt. Wegen der höheren Temperaturen wird eine größere Verdunstung die Folge sein. Trockenschäden und Stresssituationen nehmen zu. Das Jahr 1999 steht für hiesige WInzer als Beispiel für diesen Trend. Die Intensität der UV-B-Strahlung wird infolge des Abbaus der Ozonschicht zunehmen. Dies hat Auswirkung auf die Physiologie aller Kulturpflanzen. Eine veränderte Zusammensetzung von Most- und Weininhaltsstoffen ist die Konsequenz.

Leicht zu erstellen sind Prognosen auf das Reifungspotential der Rebsorten. Berechnungen um die Jahrtausendwende (Quelle: Professor Norbert Becker, Freiburg) mit Daten von Klimastationen in deutschen Weinbaugebieten sagten die Auswirkungen vorher. Dies ist recht einfach, denn die Rebenentwicklung wird im Jahr in erster Linie nur von  der Temperatur gesteuert.

Es wurden drei Klima-Modelle erstellt: Je nach Modellrechnung steigen die Reifegrade von Riesling um 2,6 bis 8,1 Grad Öchsle, bei Spätburgunder von 2,3 bis 8,1 und bei Müller-Thurgau um 1,2 bis 3,6 Grad. Für die Mitte des Jahrhunderts werden inzwischen sogar noch höhere Erwärmungen von etwa zwei Grad Celsius vorhergesagt, die in den Modellen noch nicht berücksichtigt sind.

Nach allen Erkenntnissen ist Stufe eins des Modells bereits Realität. Stufe zwei wird während der Standzeit der jetzt bestehenden Weinberge eintreten. Stufe drei wird etwa in 30 Jahren, also schon in einer Weinbergs- und Winzergeneration erreicht. Das heißt: Jeder neue Weinberg, der jetzt gepflanzt wird, wird während dieser Phase noch im Ertrag stehen! Winzer an der Bergstraße müssten also jetzt schon denken wie Winzer in den viel heißeren Regionen des Südens.

Wärmebedarf als Gradmesser

Was man mit großer Sicherheit vorhersagen kann, ist eine weitere Veränderung des Rebsortenspiegels. Besonders spät reifende Sorten wie Riesling und Spätburgunder werden profitieren. Es gibt aber auch Konsequenzen für den Anbau anderer Rebsorten mit noch höheren Wärmeansprüchen. Einen Anhaltspunkt liefert der „Huglin-Index“. Die Weinwissenschaft unterscheidet damit Rebsorten nach ihrem Wärmebedarf. Folgende Aussagen lassen sich für unsere Region treffen: Die Bergstraße rückt schnell in den Bereich der besten Lagen des Kaiserstuhls vor und wird und anschließend das frühere französische oder oberitaliensche Klima haben.

Für die Rebsorten bedeutet dies, dass im Oberrheintal heute schon Merlot oder Sauvignon blanc gedeihen. Chardonnay wird längst von vielen Bergsträsser Betrieben angebaut. In Spitzenstandorten wie am Heppenheimer Steinkopf steht bereits Cabernet Sauvignon. Selbst wenn keine südeuropäischen Sorten angepflanzt würden, bedeutet diese Entwicklung dennoch, dass die Bergsträsser Winzer mit ihrem jetzigen Sortenspektrum immer höhere Qualitäten ernten können, sofern ihnen nicht Trockenheit einen Strich durch die Rechnung macht.
Wie wird sich die Klimaränderung auf die Bergstraße mit ihren beiden Bereichen Starkenburg und Groß-Umstadt auswirken?

Weinfreunde können sich über eine zunehmende internationale Vielfalt des Bergsträsser Rebsortenspektrums freuen. Für jede Rebsorte der Welt sind hier problemlos geeignete Standorte zu finden. Das kleinste deutsche Anbaugebiet hat eine Auswahl wie manch große berühmte Gebiete nicht.

Die Qualität unserer traditionellen Rebsorten wird sich kontinuierlich steigern. Doch auch Weintyp und Weinstil werden sich ändern. Der typische Charakter der weißen Bergsträsser Weine hat sich in den vergangenen Jahren schon dem internationalen Weintyp der Südregionen angenähert. Die säurebetonten Weine der 1960er und 1970er Jahren sind Geschichte. Heute geht es im Gegenteil darum, möglichst viel natürliche Fruchtsäure zu erhalten.
Wie sieht es woanders aus? Am Kaiserstuhl gibt es nur noch wenig Riesling, und im Burgenland wird sogar sein Aussterben vorhergesagt. Veröffentlichungen in der Fachpresse sagen für den Rheingau vorher, dass der Riesling auch dort seine Stellung als Leitsorte verlieren wird. Die Klimaränderung kommt dem Rotweinbau entgegen. Dieser wird sich künftig als eine völlig selbstverständliche Tatsache an der Bergstraße darstellen. 2007 wird der Anteil der Rotweinsorten bei der Bergsträsser Winzer eG die 30-Prozent-Marke übertreffen.

Über neue deutsche Rebregionen in Mecklenburg oder Brandenburg wurde in Medien berichtet. Selbst für diese sagt ein Klimamodell von Manfred Stock (Potsdam-Institut für Klimaforschung) schon für 2030 in großen Bereichen die Eignung für Chardonnay, Riesling, Spätburgunder und Sauvignon blanc voraus. Im Bergsträsser Partnerbezirk in Friedrichshain-Kreuzberg in Berlin wird dann künftig wohl Riesling gedeihen...

Auch wenn weitere Regionen vielleicht künftig den Wettbewerb verstärken, dürfte die Bergstrasse eher zu den Gewinnern der Entwicklung zählen. Dagegen werden die südeuropäischen Weinregionen von der Fachwelt bereits als Verlierer gehandelt, die künftig vielleicht nur noch „Alkoholbomben“ ohne jegliche Fruchtaromatik produzieren. Das weltgrößte Weinbaugebiet La  Mancha in Spanien ist in den letzten Jahren wegen der Trockenheit von 600.000 ha auf 400.000 geschrumpft!

Wie reagieren die Bergsträsser Winzer? Da sie ihre Weinberge nicht nach Norden verschieben können, lassen sie die Pflanzungen des Rieslings langsam aber sicher an den Hängen nach oben und in die Seitentäler klettern, während auf den warmen Lößlehmböden – wie im Heppenheimer Eckweg – der anspruchsvollere Spätburgunder immer mehr den Riesling verdrängt. Damit können die Bergsträsser im Gegensatz zu Winzern anderer Regionen den natürlichen Vorteil der Hanglagen nutzen: Pro 100 Meter Höhenunterschied ist die Jahresdurchschnittstemperatur 0,5 Grad Celsius niedriger. Mit dieser höheren Pflanzung kann die typische Aromatik des Rieslings erhalten werden, der eine kühlere Reifephase zur Ausbildung der Fruchtaromen benötigt. Noch kühlere Standorte, die für Müller-Thurgau geeignet wären, sind dann allerdings an der Bergstraße nur noch mit Mühe zu finden. Er ist auf dem besten Weg, zur Rarität zu werden. Weinlagen wie „Melibokus Nordseite“ oder „Katzenbuckel Westhang“ sind vielleicht eines Tages keine Schimpfwörter mehr. Womöglich ist der Odenwald die Weinregion des 22. Jahrhunderts.

Die frühere Vegetationsphase, die erhöhte Strahlung und die beschleunigte Reife werden weitere Auswirkungen haben. Sicher wird sich die Zahl der Jahre mit noch größerer Qualität häufen. Wassermangel wird in Trockenjahren die Erntemenge allerdings reduzieren. Die Frage der künftig nachhaltig zu produzierenden Erntemenge wird nicht mehr aus der Sicht des gesetzlich zulässigen Hektarertrags zu bewerten sein, sondern danach, ob die Wasserversorgung überhaupt noch ausreicht, um die jetzigen 80 Hektoliter pro Hektar ohne Schaden für die Qualität oder die Reben zu ermöglichen. Sinkende Erträge bedeuten aber sinkende Rendite.

Die Gefahr von Trockenstress wird steigen, vor allem an Standorten mit flachgründigen Böden. Wiederholt hatte die Bergstraße Sonne für zwei gute Jahrgänge, aber nur Wasser für einen halben. Daraus ergibt sich eine relative Entwertung der bisher besten, sonnenexponierten Steillagen mit geringer Wasserspeicherung des Bodens und gleichzeitige Aufwertung eher höherer oder feuchterer Standorte. Diesem Werteverfall kann künftig nur mit Tröpfchenbewässerung begegnet werden. Bei Flurneuordnungsverfahren muss die Möglichkeit solcher Versorgungsmöglichkeiten geprüft werden. Bei der Neuanpflanzung werden die Winzer Wert auf trockenresistente Sorten legen müssen. Die ökologisch sinnvolle Begrünung der Weinberge wird wegen  Wasserkonkurrenz zur Rebe nicht überall möglich sein. Anderseits wird es mehr Erosionsschäden durch Starkregenereignisse geben. Auch Wetterextreme wie Hagel und Sturm werden zunehmen.

Jeder vernünftige Mensch wird keine Freude über die Klimaerwärmung äußern. Auch Winzer und Weinwirtschaft sind aufgerufen, der globalen Klimaerwärmung entgegenzuwirken.

Von Reinhard Antes, erschienen im Starkenburger Echo 22.7.2006