125. Jubiläum der erfolgreichsten Kreuzung
Vermutlich die erste aus gezielter Züchtungsarbeit hervorgegangene Rebsorte mit weltweiter Bedeutung. 1882 von Herrmann Müller an der damaligen königlichen Lehranstalt für Obst-, Wein- und Gartenbau in Geisenheim gekreuzt. Als Eltern waren Riesling und Silvaner vorgesehen. Neuere genetische Untersuchungen von Regner, Klosterneuburg und Zyprian, Geilweilerhof stellten fest, dass nicht Silvaner sondern die französische Tafeltraubensorte Madelaine Royal der wahre Vater des Müller-Thurgaus ist. Die eigentliche Züchtungsarbeit an der Sorte wurde jedoch nicht in Geisenheim, sondern in Wädenswil durchgeführt, wo Prof. Dr. Herrmann Müller-Thurgau als Direktor tätig war. Die Sorte kam erst 1913 wieder nach Deutschland und wurde ab 1945 verstärkt angebaut.
Die Sensation zum 125. Geburtstag der Rebsorte Müller-Thurgau:
Die Bergsträßer Winzer eG erntet die höchsten je an der hessischen Bergstrasse gemessenen Mostgewichte mit einer Heppenheimer Müller-Thurgau Trockenbeerenauslese zum Andenken an deren Züchter Hermann Müller.
Die Mitgliederfamilien Ewald und Ernst Röder, Markus und Werner Rothermel, Helmut und Reinhard Antes schafften in einer Gemeinschaftsaktion eine Sensation gleich an den ersten vier Lesetagen des Herbstes 2006! Vom 16.9.06 bis 20.9.06 konnte in unglaublich mühseliger Arbeit eine Trockenbeerenauslese der Rebsorte Müller-Thurgau geerntet werden. Trockenbeerenauslesen dieser sonst eher ertragreichen Rebsorte sind noch weitaus seltener wie beim Riesling, die man als Könige der Weißweine bezeichnet!
Bereits Ende August hatte erste Edelfäule die Trauben befallen und die Beerenschalen dünnhäutig gemacht. Durch die folgende trockene Witterung verdampfte das Wasser und die Beeren waren bald zu kleinen Rosinen eingetrocknet. Dadurch wurden Zucker, Fruchtsäuren, Mineralstoffe, Aromen und alle sonstigen Inhaltsstoffe hochkonzentriert.
Mit unendlicher Geduld wurden die Rosinen einzeln (!) von den Stielen gezupft. Rund ein Kilo schafft ein Lesehelfer pro Stunde. Dieses ergibt dann später etwa ein Gläschen Wein. Mehrere hundert Arbeitsstunden waren somit erforderlich, um die Gesamtmenge von rund 110 Liter Konzentrat keltern zu können. Dieser gigantische Aufwand ist nur zu rechtfertigen, wenn die Winzer und Lesehelfer einen unglaublichen Idealismus mitbringen und ein gemeinsames Ziel vor Augen haben. Das Ziel hieß: Die Füllung eines Jubiläumsweins zum 125. Geburtstag der Rebsorte Müller-Thurgau, die im Jahre 1882 vom Schweizer Rebforscher Hermann Müller in der Forschungsanstalt Geisenheim gekreuzt wurde, und mit 42000 ha zur weltweit erfolgreichsten Neuzüchtung wurde.
Das Ergebnis ist eine Sensation. Denn es ist nicht nur der Gedenkwein gelungen, sondern die erzielten Mostgewichte zwischen 190 und 304 (!) Grad Oechsle stellten zugleich die höchsten je an der hessischen Bergstrasse erzielten Werte aller Rebsorten dar! Möglicherweise ist der Wert von 304 Grad Oechsle sogar das höchste je weltweit bei dieser Sorte erzielte Resultat.
Geschichte des Müller-Thurgau bis zum Jubiläumswein
Der Müller-Thurgau ist nach dem Riesling (21500 ha) die zweitwichtigste deutsche Traubensorte. Weltweit ist er die erfolgreichste Reben-Neuzüchtung.
Seine Geschichte begann vor genau 125 Jahren in Geisenheim. Zu verdanken ist er Dr. Hermann Müller aus dem Kanton Thurgau (Schweiz). Er wurde 1876 Leiter der wissenschaftlichen Station der königlichen Lehranstalt für Obst-, Wein- und Gartenbau in Geisenheim. Schwerpunkte seiner Arbeit waren: Pflanzenphysiologie, Gärungsphysiologie, Gründung einer Hefezuchtstation, Pflanzenkrankheiten (z.B. 1882 erste Feststellung von Peronospora in Geisenheim) und Rebenzüchtung. 1882 kreuzte er die Rebsorten Riesling und Silvaner. 1891 wechselte er nach Wädenswil (Schweiz). Hier begann er 1894 mit der Zucht von Stecklingen, darunter zwei Reben aus jener Geisenheimer Kreuzung. Die Vermehrung daraus erfolgte 1897. Ab 1908 gab man Pflanzen an Winzer in der Schweiz und dem Ausland ab. Deutschland führte 1913 die ersten 100 - noch namenslosen - Reben ein: Der fränkische Landesinspektor für Weinbau, August Dem, pflanzte sie versuchsweise an und gab der Sorte als erster den Namen "Müller-Thurgau".
Ab 1920 wurden in vielen Weinregionen Versuchsweinberge errichtet. Für den Durchbruch im Anbau sorgte ab 1938 Hermann Scheu in Alzey, der den Sortenwert erkannte und sich um Anerkennung und Verbreitung mühte.
Im Laufe der Zeit kamen aber aufgrund des Aussehens von Trieben und Blättern immer wieder Zweifel auf, ob es sich tatsächlich um eine Kreuzung mit Silvaner handelte! Selbst der Züchter zweifelte. Wissenschaftler der Deutschen Bundesanstalt für Züchtungsforschung in Siebeldingen unter Federführung der Molekularbiologin Dr. Eva Zyprian konnten endlich 2000 mit neuen gendiagnostischen Methoden die wahre Herkunft bestimmen: Sie fanden im Erbgut die Gene der Sorte „Madeleine Royale“ (=“Königliche Magdalenentraube") als Vater. Diese wiederum stammt von einer Züchtung aus dem Formenkreis des Chasselas (Gutedel) ab. Gekreuzt hatte Müller-Thurgau also 1882 in Wahrheit versehentlich den Riesling mit Madeleine Royale!
Durch zu hohe Erträge bekam Müller-Thurgau etwa ab 1980 ein schlechtes Image und zwang die Winzer zum Umdenken. Qualität statt Masse setzte sich durch und ein neuer Name "Rivaner" (=Riesling mal Silvaner) für trockene Müller-Thurgau-Weine wurde geboren. Heute hat man längst erkannt, dass der sehr aromatische Müller-Thurgau ein großes Weinsprektrum erzeugt, wenn der Winzer die Qualitätserzeugung bevorzugt.
Dennoch ist nicht zuletzt wegen der Klimaänderung, die den Müller-Thurgau in unseren Breiten oft zu früh zur Reife bringt, die Anbaufläche deutlich zurückgegangen. Siehe Diagramm: „Müller-Thurgau Anbauflächen in Hessen seit 1964“, Quelle Weinbauamt Eltville. Wegen dieser frühen Vollreife findet er an der Bergstrasse vor allem für den Bergsträßer Federweißer Verwendung.
Anlässlich einer feierlichen Festveranstaltung am 31.8.2007 in der Forschungsanstalt Geisenheim wurde das Jubiläum der Rebsorte gebührend gefeiert. Nachmittags folgte eine Probe mit Müller-Thurgau Weinen der ganzen Welt.
Unter allen ragte die 2006er Heppenheimer Schlossberg Müller-Thurgau Trockenbeerenauslese von der Bergsträßer Winzer eG hervor. Der Wein war damals in mehrtägiger Lese von 4 Mitgliedsfamilien mit Mostgewichten von 160 bis zu 304 (!) Grad Oechsle gelesen worden. Letztere Partie ist vermutlich weltweit das höchste mit der Sorte erzielte Mostgewicht!
Mit einem Mittelwert von 228 Grad Oechsle ist es ein einzigartiger und schwerlich jemals wiederholbarer Gedenkwein für die Sorte, der bei der Landesweinprämierung mit der Goldmedaille ausgezeichnet wurde und bei der Weltweinprämierung MUNDUS VINI ebenfalls mit Gold geehrt wurde!
Ein kleines Kontingent des einmaligen Weins ist aus dem Archiv der Bergsträßer Winzer eG zum Verkauf freigegeben.
Damit stellte die Bergsträßer Winzer eG schon zum zweiten Mal den abschließenden Spitzenwein bei einer Feier zu Ehren des Müller-Thurgau! Denn auch schon vor 25 Jahren (100-jähriges Jubiläum) stammte der Höhepunkt der damaligen Weingala von der Bergstrasse!